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Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Harnsäure schon im Norm­bereich ein unterschätzter Risikofaktor – Frauen stärker betroffen

Für die Studie wurden die Harnsäurewerte im Blutserum von Zehntausenden Freiwilligen herangezogen, die Bioproben für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt hatten.

Pressemitteilung der Universitätsmedizin Halle:

Hohe Harnsäurespiegel erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Eine aktuelle Studie eines fächerübergreifenden Konsortiums der Universitätsmedizin Halle fand jedoch heraus, dass Harnsäurewerte sogar im Normbereich mit der Gefäßsteifigkeit verknüpft sind und demnach ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein können. Die Analyse basierte auf Daten und Proben von über 70.000 Personen der NAKO Gesundheitsstudie und zeigte, dass dieser Zusammenhang bei Frauen stärker ausgeprägt ist. Die im Fachjournal „BMC Medicine“ veröffentlichten Ergebnisse stellen die bestehenden Grenzwerte für „normale“ Harnsäurespiegel infrage und betonen die Bedeutung für die Gesundheitsversorgung von Frauen.

Bei Säugetieren wird Harnsäure normalerweise zu einem wasserlöslichen Stoff umgewandelt, der leicht ausgeschieden werden kann. Bei Menschen ist das zuständige Enzym im Verlauf der Evolution jedoch verloren gegangen. „Die Meisten denken bei Harnsäure an Gicht und einen dicken Zeh. Doch diese Sichtweise ist sehr einseitig, denn evolutionär gesehen bot sie einst einen physiologischen Vorteil in Zeiten der Salzknappheit. Aufgrund unseres modernen Lebensstils gelten hohe Harnsäurewerte heute als Risikofaktor für Gefäßerkrankungen, die wiederum mit Bluthochdruck und Organschäden einhergehen können“, erklärt Prof. Michael Gekle, Letztautor der Studie und Direktor des Julius-Bernstein-Instituts für Physiologie an der Universitätsmedizin Halle.

Bislang war unklar, wie genau das Risiko für Gefäßerkrankungen mit Harnsäure verknüpft ist. Dieser Frage ist ein Studienverbund aus Wissenschaftler:innen der Physiologie, Nephrologie, Biometrie, Biobank und der Arbeitsgruppe Digitale Forschungsmethoden der Universitätsmedizin Halle sowie des ansässigen NAKO-Studienzentrums nachgegangen. Die Forschenden untersuchten die Harnsäurekonzentration im Blutserum von 70.649 Teilnehmenden der NAKO Gesundheitsstudie im Alter von 19 bis 74 Jahren im Zusammenhang mit deren Gefäßsteifigkeit. Dafür wurde die sogenannte Pulswellengeschwindigkeit gemessen, also die Geschwindigkeit, mit der sich eine Druckwelle durch das Blutgefäßsystem bewegt. Je höher dieser Wert ausfällt, desto steifer sind die Gefäße.

Grenzwerte überdenken?

Neun von zehn der analysierten Personen lagen beim Harnsäurewert im Normbereich. Doch: „Bereits im physiologischen, also als unbedenklich geltenden Konzentrationsbereich, war Harnsäure positiv mit der Gefäßsteifigkeit und daher mit dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft. Dieser Zusammenhang war bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern“, so Gekle.

Deshalb müssten die bisherigen Harnsäure-Grenzwerte überdacht werden, so die Autor:innen. Diese liegen derzeit für Frauen bei 140-360 µmol/l und für Männer bei 180-420 µmol/l. „Als die Grenzwerte festgelegt wurden, war der Zusammenhang mit der Gefäßsteifigkeit als Risikofaktor noch nicht bekannt. Es ist möglich, dass die anzustrebenden Konzentrationsbereiche deutlich enger gefasst werden müssen als bisher angenommen“, so Prof. Oliver Thews, Erstautor der Studie und Facharzt für Physiologie an der Universitätsmedizin Halle. Laut einer Schätzung des Studienteams entspricht eine Erhöhung der Harnsäurekonzentration um 100 µmol/l einer Gefäßalterung von etwa sieben Jahren bei Frauen bzw. vier Jahren bei Männern.

Präventive Therapie im Normbereich denkbar

Es gibt weitere Geschlechterunterschiede: Frauen weisen grundsätzlich eine niedrigere Pulswellengeschwindigkeit auf. Zudem hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass eine Harnsäuretherapie bei Frauen mit hohen Werten besser wirkt als bei Männern. „Der Körper scheidet Harnsäure über die Nieren abhängig vom Geschlecht unterschiedlich aus. Eventuell hat der Anstieg der Harnsäure bei Frauen deshalb einen stärkeren Effekt. Möglicherweise lassen sich die Beobachtungen auch durch verschiedenartige molekulare Signalwege zwischen den Geschlechtern erklären“, so Thews weiter.

Die Erkenntnisse legen nahe, dass eine vorbeugende Therapie mit harnsäuresenkenden Medikamenten unter Umständen bereits bei „normalen“ Werten sinnvoll sein könnte. Insbesondere Frauen mit weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, wie beispielsweise Übergewicht oder Stoffwechselerkrankungen, könnten dadurch gesundheitlich profitieren.

In der Studie, in der ein großer Datensatz ausgewertet wurde, konnte außerdem ein maschinelles Lernverfahren (Random Forest) zum Einsatz kommen, um bisher unbekannte Risikofaktoren für Gefäßsteifigkeit zu identifizieren und zu gewichten. Dabei lag Harnsäure noch vor Aspekten wie Rauchen, Langzeitblutzucker und Alkoholkonsum.

Die Studie deckt einen klaren Zusammenhang zwischen Harnsäure und Gefäßsteifigkeit auf – der Beweis für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung steht allerdings noch aus: „Wir haben jetzt eine mechanistische Erklärung dafür, warum Harnsäure als kardiovaskulärer Risikofaktor gilt. Um den kausalen Zusammenhang zu klären, sind jedoch weitere Untersuchungen nötig, beispielsweise experimentelle Studien mit primären Gefäßzellkulturen beider Geschlechter oder interventionelle Studien am Menschen“, berichtet Gekle. Das Forschungsteam arbeitet bereits an einer Folgeuntersuchung mit rund 7.000 Teilnehmenden des NAKO-Studienzentrums Halle. Dafür wurden Daten zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben und zusätzliche Parameter einbezogen.

Weitere Informationen

Originalpublikation
Thews, O., Schmid, T., Kluttig, A. et al. Physiological serum uric acid concentrations correlate with arterial stiffness in a sex-dependent manner. BMC Med 23, 356 (2025). https://doi.org/10.1186/s12916-025-04195-8

Zur Pressemitteilung auf der Webseite der Universitätsmedizin Halle

Ansprechpartner für die Presse

Dr. Friederike Fellenberg
NAKO Gesundheitsstudie
Leiterin Projekt- und Wissenschaftskommunikation
Am Taubenfeld 21/2
69123 Heidelberg
Tel.: +49 6221 42620-62
E-Mail: friederike.fellenberg@nako.de

NAKO Gesundheitsstudie

Die NAKO Gesundheitsstudie ist die größte Langzeit-Bevölkerungsstudie in Deutschland. In 18 Studienzentren werden seit 2014 über 200.000 zufällig ausgewählte Personen medizinisch untersucht und nach ihren Lebensgewohnheiten befragt. Zum Start der Studie waren die Teilnehmenden im Alter von 20 – 69 Jahren. 

Die NAKO Gesundheitsstudie ist eine prospektive epidemiologische Kohortenstudie. Die Forschenden beobachten dabei eine große Gruppe, eine sogenannte Kohorte, aus gesunden, kranken oder ehemals kranken Menschen über eine lange Zeitspanne. Ziel ist es, durch wissenschaftliche Auswertungen der Daten der Teilnehmenden, Häufigkeit und Ursachen von Volkskrankheiten wie beispielsweise Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen aufzuklären, Risikofaktoren zu erkennen und Wege für eine wirksame Vorbeugung und Früherkennung aufzuzeigen. 

Das Forschungsprojekt wird von 26 Einrichtungen getragen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universitäten, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und weiteren Forschungsinstituten in Deutschland arbeiten in einem bundesweiten Netzwerk zusammen. Die Studie wird vom Verein NAKO e.V. durchgeführt. Finanziert wird sie aus öffentlichen Mitteln des Bundesministeriums für ­Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), der Helmholtz-Gemeinschaft und der beteiligten Bundesländer.  

www.nako.de

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