Im Gespräch mit Prof. Dr. Barbara Thorand zum Welt-Diabetes-Tag

Prof. Dr. Barbara Thorand. Quelle: Helmholtz Zentrum in München

Wie entsteht eigentlich Diabetes? Und woran erkenne ich, dass ich an der Zuckerkrankheit leide? Zum Welt-Diabetes-Tag am 14. November haben wir ein Interview mit Prof. Dr. Barbara Thorand geführt. Sie leitet die Forschungsgruppe ‚Diabetes Epidemiology‘ am Helmholtz Zentrum in München und hat uns unsere Fragen zum Thema Diabetes beantwortet.

Wie entsteht Diabetes?

Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselkrankheit, bei der es aufgrund einer gestörten Blutzuckerverwertung zu einem dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel kommt. Beim Typ 1 Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Zerstörung der Betazellen (die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse) nicht mehr in der Lage ist (ausreichend) Insulin zu produzieren. Typ 1 Diabetes manifestiert sich üblicherweise im Kindes- oder Jugendalter oder bei jungen Erwachsenen.
Beim Typ 2 Diabetes liegt meist ein relativer Insulinmangel vor, d.h. die Wirkung des Insulins ist aufgrund einer sogenannten Insulinresistenz vermindert, was in der Folge zu einem Anstieg der Blutzuckerkonzentration führt. Typ 2 Diabetes manifestiert sich in der Regel im Erwachsenenalter und ist mit ca. 90-95 Prozent die häufigste Diabetesform.

Wie erkenne ich, dass ich unter Diabetes leide? Was sind die ersten Symptome/Anzeichen?

Typ 2 Diabetes verursacht häufig lange Zeit keine Beschwerden. Daher ist es so wichtig, beim Vorliegen von Risikofaktoren beim Arzt den Blutzuckerspiegel in regelmäßigen Abständen kontrollieren zu lassen. Dennoch gibt es einige eher unspezifische Symptome, die auf einen erhöhten Blutzuckerspiegel hindeuten und vor allem auch ein Hinweis auf Typ 1 Diabetes sein können: starker Durst, häufiges Wasserlassen, trockene Haut, Juckreiz, Gewichts­abnahme, Müdigkeit, Sehstörungen und eine schlechte Wundheilung.

Was kann passieren, wenn Diabetes nicht/zu spät erkannt wird?

Ein erhöhter Blutzuckerspiegel schädigt die Blutgefäße und Nerven (Neuropathie) und verursacht dadurch Folgekrankheiten. Je länger der Blutzuckerspiegel erhöht ist, umso größer ist das Risiko für diese Komplikationen. Daher ist es so wichtig, dass Diabetes frühzeitig erkannt und behandelt wird. Bei den Folgekrankheiten des Diabetes unterscheidet man zwischen makrovaskulären Komplikationen, bei denen die großen Blutgefäße geschädigt werden (z.B. Herzinfarkt oder Schlaganfall), und mikrovaskulären Komplikationen bei denen die kleineren Blutgefäße geschädigt werden. Mikrovaskuläre Komplikationen können z.B. zu chronischem Nierenversagen, Erblindung oder Amputationen führen.
Wird Typ 1 Diabetes nicht rechtzeitig erkannt, kann es zu einer diabetischen Ketoazidose (Übersäuerung des Blutes) kommen, die im Extremfall tödlich sein kann.

Was sind Risikofaktoren für Diabetes? Gibt es möglicherweise unterschätzte Risikofaktoren?

Der stärkste Risikofaktor für Typ 2 Diabetes ist Übergewicht bzw. Adipositas (insbesondere zu viel Bauchfett). Weitere Risikofaktoren sind Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen (insbesondere erhöhte Triglyzeridwerte und niedrige HDL-Cholesterin-Werte), Rauchen, Alkoholkonsum, ungünstige Ernährungsgewohnheiten und ein Bewegungsmangel. Darüber hinaus spielen die genetische Prädisposition und das Alter eine wichtige Rolle. Wer sein persönliches Risiko innerhalb der nächsten 5 Jahre an Typ 2 Diabetes zu erkranken ermitteln will, kann diese mit Hilfe des DIfE – DEUTSCHER DIABETES-RISIKO-TEST® (DRT) unter folgendem Link tun: https://www.dife.de/news/diabetes-risiko-test/.
Die Ursachen für den autoimmunbedingten Typ 1 Diabetes sind noch weitgehend unbekannt. Eine erbliche Vorbelastung und bestimmte Umweltfaktoren können den Ausbruch der Erkrankung vermutlich begünstigen.

Wie kann man Diabetes im Alltag vorbeugen?

Durch eine Gewichtsabnahme können übergewichtige oder adipöse Personen ihr Risiko an Typ 2 Diabetes zu erkranken deutlich verringern. Darüber hinaus kann jeder durch ausreichend körperliche Aktivität (die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt beispielsweise mindestens 30 Minuten Bewegung am Tag) und eine gesunde Ernährung mit viel Ballaststoffen, reichlich frischem Obst und Gemüse sowie möglichst wenig Fleisch, anderen fettreichen tierischen Produkte und Alkohol einer Typ 2 Diabeteserkrankung vorbeugen.

Hat die Anzahl an Diabetikern in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen oder abgenommen? Falls ja, kennt man die Gründe dafür?

Weltweit hat die Anzahl der Diabetiker in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Hierfür ist insbesondere der Anstieg übergewichtiger und adipöser Personen verantwortlich. Darüber hinaus könnte aber auch der zunehmende Bewegungsmangel eine Rolle spielen.

Prof. Dr. Barbara Thorand, Helmholtz Zentrum München

Während in Deutschland die Prävalenz (Häufigkeit) des Diabetes in den letzten Jahren auch zugenommen hat, was u.a. auch an der längeren Lebenserwartung von Diabetikern liegt, gibt es Hinweise darauf, dass die Inzidenz (Rate der Neuerkrankungen) des dokumentierten Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren etwas rückläufig ist. Inwieweit sich dieser Trend in den nächsten Jahren bestätigt bleibt abzuwarten. Die Typ-1-Diabetes-Inzidenz steigt derzeit in Deutschland um ca. 3,5 Prozent pro Jahr an.

Welche Rolle spielt die NAKO Gesundheitsstudie für die Diabetes-Forschung?

Die NAKO Gesundheitsstudie ist die größte bevölkerungsbasierte Kohortenstudie in Deutschland. Bei der Basisuntersuchung wurde bei ca. 10 Prozent der mehr als 200.000 Studienteilnehmer ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt. Dieser ermöglicht eine Abschätzung der Prävalenz des unentdeckten, d.h. bisher noch nicht klinisch diagnostizierten Diabetes und der Prävalenz des Prädiabetes (d.h. von Vorstufen des Diabetes). Darüber hinaus wurden in der NAKO eine Vielzahl von Lebensstilfaktoren (z.B. Ernährungs­gewohnheiten, Messung der körperlichen Aktivität und der Schlafgewohnheiten mittels Akzelerometrie, etc.) detailliert erfasst und eine Reihe zum Teil sehr innovativer Untersuchungen (z.B. Echokardiographie, MRT, Autofluoreszenz der Haut, Spirometrie, etc.) durchgeführt. Zusammen mit den im Rahmen von Folgeuntersuchungen erhobenen Daten zum Auftreten von Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen lassen sich hierdurch neue Risikofaktoren identifizieren und verbesserte Prädiktionsmodelle ableiten, und somit neue Ansatzpunkte für eine stärker personalisierte Prävention gewinnen.

Was halten Sie von Initiativen wie dem Weltdiabetestag?

Der Weltdiabetestag wurde 1991 von der International Diabetes Federation (IDF) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als weltweite Aktion eingeführt, um auf die zunehmende Verbreitung dieser Erkrankung aufmerksam zu machen. Seither wird der Tag jährlich am 14. November begangen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, die Menschen immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass ein Großteil der Diabeteserkrankungen durch unseren „modernen“ Lebensstil verursacht oder zumindest begünstigt wird, um sie zu motivieren etwas zu ändern. Dabei helfen Initiativen wie der Weltdiabetestag.

Das Interview führte L. Herges

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